Vor 65 Jahren: Festwoche in Pflaumheim

Das Heimatspiel „Der Schneider im Hungerturm" wurde uraufgeführt“

 

Schneider meck-meck-meck. Schneider meck- meck- meck lass die Nadel sausen! Solche oder ähnliche Spottliedchen müssen sich die Schneider gefallen lassen. Die Figur des Schneider steht nämlich für körperliche Schwachheit und ihr Mut wird verspottet. Ganz anders sieht es aber in einer Sage des ehemaligen Schneiderdorfes Pflaumheim “Der Schneider im Wartturm“ aus. Hier ist der Schneider ein mutiger Wildschütz, der sich mit List aus der Gefangenschaft befreit. Von dem mutigen Schneider zeugt nach der Sage noch heute der Schneiderbildstock von 1520, der älteste Bildstock in der Pflaumheimer Gemarkung. Die Geschichte des Schneiders ist die Grundlage des Festspiels, das vor 65 Jahren beim Heimatfest aufgeführt wurde.

Auf Initiative des im Januar 1955 Gegründeten Pflaumheimer Vereinsrings wurde unter dem Vorsitzenden August Ostheimer im Juni 1958 ein großes Heimatfest gefeiert. Im Rahmen dieses einwöchigen Festes wurde das Heimat- und Freilichtspiel „Der Schneider im Hungerturm“ uraufgeführt, mit der Sage als zentrale Handlung. Autor dieses Spieles war der Feuerwehrkommandant Albert Schuler, die Bühnenreife Bearbeitung wurde vom damaligen Pflaumheimer Pfarrer Karl Josef Barthels vorgenommen. Schneidermeister Alois Zahn studierte das Stück ein und war Spielleiter. Der Bearbeitung durch Pfarrer Barthels ist es zu verdanken, dass das Stück wirklichkeitsnah in die Zeit um 1550 eingebaut war und so auch einen geschichtlichen Aufschluss über den Bachgau der damaligen Zeit gab. Herausragende Figuren waren der Centrichter von Ostheim, Conrad Graf von Miltenburg (Friedbert Zahn), der Landschöff (Hubert Hock) und nicht zuletzt der Schneider Peter (Berthold Zahn) und seine Braut Mariann (Hedwig Rachor), aber auch der Nachtwächter (Manfred Hohm) ist mit seinem Stundengesang „Hört ihr Leut…“ in guter Erinnerung. Über 100 Spieler waren an dem dreistündigen Spiel beteiligt; als Landsknechte, Reiter, Bauern, Jäger und Treiber.

Die Bühne war an der Stirnseite des 1548 erbauten Rathauses aufgebaut. Aber auch der Straßenbereich war in das Spiel miteinbezogen. Für die Zuschauer waren auf der ansteigenden Rathausstraße in Richtung Kuhpforte Stuhlreihen aufgestellt. Beide Aufführungen waren ausverkauft.

 

 

Der Wilderer, Schneider Peter (rechts) vor dem Centrichter von Ostheim (links)

 

Ein herausragendes Ereignis in der Festwoche war ein Festakt am 18.Juni 1958 im Saalbau Schadt, in dem der Hauptlehrer a. D. Josef Schuck zum Ehrenbürger von Pflaumheim ernannt wurde. Der damalige Bürgermeister Gustav Peter würdigte in seiner Laudatio die großen Verdienste Schucks um die Heimatgeschichte. War er es doch, der schon 1937 das Heimatbuch „Pflaumheim im Bachgau“ verfasst und herausgegeben hatte. Kaum eine Gemeinde hatte schon zu dieser Zeit eine Heimatchronik.

Das Festzelt war mitten im Dorf auf der Bachstraße, zwischen der Krone und der Einmündung des heutigen Dorfmauerweges aufgebaut. Kein Mensch beklagte sich über Lärmbelästigung.

Ein großer Festzug am Sonntag mit über zwanzig Wagen und Gruppen war eine weiter Attraktion. Mitten in der Festwoche gab es im Saalbau Schadt ein Liederkonzert der Sängervereinigung und zum Ende einen Tanz mit der damals weithin bekannten Pflaumheimer Tanzkapelle „Unisono“

 

Text: Lothar Rollmann, Herbert Rachor

Foto: Archiv Geschichtsverein

 

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Schneidermeister Josef Balthasar Zahn

 

Zur Erinnerung gruppierten sich die ehemaligen Lehrlinge, Gesellen und Nähmädchen von

1914 bis 1934 um Ihren Lehrmeister Josef Balthasar Zahn (Millionen-Schneider) mit Gattin.

 

Alois Zahn, Karl Hartmann, Hans Schadt, Albert Hock, Otto Hock, H. Grimm, Otto Peter, Franz Fäth, Josef Schaad

Otto Zahn, Karl Zahn, Gretchen Euler, Ehefrau Anna Zahn, Anna Peter, Meister Josef Balthasar Zahn, Elise Schadt, Josef Hock, Arthur Fäth

Otmar Kämmerer, Robert Herzog, Leo Zahn

 

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Herbert Rachor

 

 

Heimschneider

 

Nach den Steinmetzen kamen die Schneider

 

Die Steinmetzen und  Steinhauer nahmen schon seit dem Mittelalter (zwischen 6. und 15. Jh.) in Pflaumheim eine besondere Stellung ein („Pflaumheim im Bachgau“ von Josef Schuck,1937, S. 132). Der gemeindliche Steinbruch (heute Grillplatz) war schon im Mittelalter in Betrieb, schreibt Schuck weiter. Tüchtige Steinmetze verewigten sich durch Bildstöcke und Bildhauerarbeiten an den Häusern. Die Arbeitszeit sei lang, der Lohn klein  und der Durst infolge des Steinstaubes groß gewesen, so Schuck.

Zu hoher Blüte kam das Steinhauerhandwerk namentlich seit Einwanderung der Schuler aus Tirol nach 1700, schreibt Schuck.  Von dem berühmtesten der Schuler, dem Johannes Schuler, existierte  der  allerdings stark verwitterten Grabstein,  den der Geschichtsverein Pflaumheim e.V. in den letzten Jahren  hat neu herstellen lassen (Fa. Natursteine Manfred Zahn, Pflaumheim), um die  Erinnerung an die Steinmetzen aus Tirol  zu erhalten, zumal ein Großteil der Pflaumheimer Einwohner als Schuler-Nachkommen gelten. Pflaumheimer  Steinmetze, Steinhauer und Maurer waren in der Kaiserzeit am Bau des Reichstages in Berlin (Juni 1884 bis Dez. 1894), dem „Kaiser-Wilhelm-Kanal“  von Juni 1887 bis Juni 1895 (auch „Nord-Ostsee Kanal“ genannt) und anderen  öffentlichen Bauten sonst wo beteiligt. Die Steinmetze waren  eigentlich der erste Pflaumheimer  Traditionsberuf.

Über Jahrhunderte verdienten die meisten Pflaumheimer Männer als Steinmetze und Steinhauer in den sieben Steinbrüchen der Gemeinde das tägliche Brot. Nach Feierabend strömten die Männer scharenweise dem Dorfe zu, heißt es bei Schuck (Heimatbuch von 1937). Die Zahl der Steinmetze ging ab 1900 immer mehr zurück, der ungesunde Beruf (Staublunge) mit geringer Lebenserwartung wurde jetzt eher gemieden. Man fand in den aufkommenden Schneiderwerkstätten anderweitige Arbeit.

 

 

Die Werkstatt von Schneidermeister Albert Rachor ca. 1913

 

Mit den Heimschneidern folgte der nächste Traditionsberuf.   Die Anfänge der Konfektionsschneiderei  im Aschaffenburger Raum begannen im Jahre 1868 in Glattbach, wo der damals 20jährige Schneider Johann Desch begann Anzüge in verschiedenen Größen auf Vorrat anzufertigen.  Dieser neue Erwerbszweig stieß auch in Pflaumheim  auf Resonanz und es begann die Heimschneiderei.

 

Der erste Pflaumheimer Konfektionsschneider war Johann Raab (*1831 +1911) (Bild links) , so berichtet Josef Schuck im Heimatbuch „Pflaumheim im Bachgau“, S.133.  Er  lud alle 14 Tage seine Arbeit auf einen Schubkarren und schob sie nach Frankfurt. Nach anderthalb Tagen brachte er einen Schubkarren voll neuer Arbeit mit. Später  ging ein  Fuhrwerk  allwöchentlich nach Frankfurt,  berichtet Schuck weiter.

 

Die Heimschneiderei brachte neuen „Wohlstand“ in das Umland von Aschaffenburg. In den 1930er Jahren wurde in Pflaumheim in über 120 Schneiderwerkstätten fleißig  genäht, schreibt Schuck 1937. Laut einer Aufstellung aus dem Jahre 1905 hat Pflaumheim 13 Heimschneider-Werkstätten  mit 26 Beschäftigten. In einer Statistik aus dem Jahre 1955 werden für Pflaumheim 178 Heimschneider angegeben (Frankfurter Wirtschafts- und sozialgeographische Schriften, Heft 61, 1992.)

Tatsächlich aber ist  die Zahl der Beschäftigten noch höher, wenn man die Familienangehörigen dazu zählt, die ebenfalls mit in die Produktion eingespannt sind. Dazu gehören oftmals auch Kinder und Greise zum Reihfäden ziehen und zu kleinen Handreichungen, wie „Dünstlappen“  auflegen und anderes  machen müssen.In diesem Zusammenhang ist zu berichten, dass die ganze Familie mit in den Arbeitsprozess  eingespannt gewesen war, wie auch die Arbeitszeit von sieben Uhr früh bis mindestens abends acht Uhr gedauert hat  und selbst auch noch samstags  bis zum frühen Nachmittag gewerkelt wurde. Oft wurde auch nachts noch genäht, zumindest wenn am nächsten Tag Liefertermin angesagt war. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es auf dem flachen Land noch keinen elektrischen Strom.  Dieser wurde in Pflaumheim erst 1920  verlegt. Vorher ging es in der Schneiderei nur per Hand, beziehungsweise mit den Nähmaschinen nur per Fußbetrieb und es gab noch keine elektrischen Bügeleisen. Da wurden die Eisen mit Kohlen aufgeheizt und auch noch mit Petroleumlampen  die Werkstatt  „hell“ gemacht. Ganz zu schweigen von dem Geruch und dem Gestank, der damit verbunden gewesen war.  Nur Fleiß, lange Arbeitszeit  und  Zusammenarbeit in der ganzen  Familie bracht den „Wohlstand“ mit der Schneiderei. 

Aus heutiger Sicht,  im Rückblick betrachtet, war es nur gut, dass die Heimschneiderei eingegangen ist. In Wirklichkeit war es nach meiner Auffassung eine Plackerei.           

Selbst am Sonntagmorgen, nach dem Kirchgang, waren  der eine oder andere  „Chef“ noch in der Werkstatt um für die neue Woche „einzurichten“, damit die Arbeit am Montag zügig weitergehen konnte.

Der Schneiderberuf war fast ohne Alternative für die heranwachsenden Generationen. Vom Geburtsjahrgang 1928/29 wurden von 22 Buben 14  davon Schneider (Lothar Rollmann  in der Festschrift zur 60 Jahrfeier des Schuljahrgangs am 22.April 1989). Von den 21 Mädchen gingen viele als Näherinnen in die Schneiderwerkstätten.  Einige von den Buben die andere Berufe ergriffen hatten landeten letztendlich später auch in der Schneiderei. Ähnlich sieht das Berufsbild auch bei anderen Jahrgängen aus. Die meisten Buben wurden Schneider.
 

Einige Meister entwickelten sich als wahre „Lehrlingsfabriken“ für den Schneidernachwuchs. So  der Schneidermeister Friedrich Stegmann, als "Fritzje“ besser bekannt. Seine Werkstatt hatten etwa 50 „Stifte“ durchlaufen  (Gruppenbild links, auf dem allerdings nur 31 zu sehen sind).

Mit der Heimschneiderei entstanden auch einige Transportunternehmen, wie Franz Keimig in Mosbach und  Adam Heid in Radheim sowie später auch Hans Dittmann in Pflaumheim,  die sowohl die Fertigprodukte in die Aschaffenburger Kleiderfabriken transportierten als auch die neue Arbeit brachten. Oft waren sie auch die einzige Verbindung vom Heimschneider zum Fabrikanten.

In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden dann in den Schneiderdörfern die sogenannten Zwischenmeister und schließlich auch Kleiderfabriken.  So auch in Pflaumheim etwa um die zehn Kleiderfabriken ,  die aber mit der Zeit wegen den Billigproduktionen im nahen und fernen Osten schließen mussten.  Der letzte Pflaumheimer Schneider ist  Erich Rollmann  in der Johannisburgstraße, der aber kein Heimschneider im herkömmlichen Sinn ist.

 

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Text: Lothar Rollmann, Bilder privat

Bearbeitet: Herbert Rachor

 

 

 


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